Qualität in Altenpflegeheimen geprüft, transparent, benotet? Fachtagung zur Zukunft der Prüfkultur des Frankfurter Forums für Altenpflege am 20. September 2012 im Plenarsaal des Römers.

(ddp direct) Das aktuelle Prüfmodell, auch Pflege-TÜV genannt, gibt keinesfalls die Ergebnisse der Betreuung am Menschen wieder. Es beurteilt primär das Qualitätsmanagementsystem und die Pflegedokumentation. Dadurch habe sich das Berufsbild der Altenpflege in der Praxis verändert und entspreche immer weniger der Motivation, warum Menschen diesen Beruf ergreifen. Die Dokumentationsverpflichtung greift gravierend in den Tagesablauf der stationären Altenpflege ein und reduziert Pflegezeit, sagten fünf Leitende aus Heimen des Forums zu Beginn. Die gut besuchte Tagung zeigte die Kritikpunkte zu den Pflegenoten und zum bestehenden Prüfmodell des MDK auf, das Pflegequalität nur formal erhebt. Das Modell heißt Pflegetransparenzvereinbarungen stationär und wird mit PTVS abgekürzt.

Willi Zylajew (MdB), pflegepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, präzisierte, dass Heimbewohner und Angehörige ein Recht hätten, das pflegerische Leistungsangebot wahrhaft dargestellt zu finden. Nur Fachtagungen dieser Art führten zur Optimierung dessen, was wir wollen. Die Praktiker seien gefordert und müssten im Interesse der Pflegebedürftigen argumentieren.

2,7 Milliarden Euro werden jährlich für Bürokratie und Dokumentation in der Altenpflege aufgewendet, sagte Thomas Klie, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft in Freiburg. Das seien rund 10 % der Pflegeversicherungsausgaben. Er stellte die Geeignetheit des bestehenden Prüfmodells infrage, da es u. a. gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoße. Qualität in der Pflege beinhalte aber nicht nur somatische Pflegetätigkeiten, sie spiegele auch wider, wie Pflegekräfte für das Sinnerleben, die Teilhabe und die Dazugehörigkeit der Menschen mit Pflegebedarf sorgen. Die Bürgergesellschaft dürfe nicht ihre Verantwortung abgeben, Menschen mit Pflegebedarf an der Gemeinschaft teilhaben zu lassen. Klie sprach von einer Inszenierung der MDK-Prüfung, die Misstrauen schürt: Wer will schon da arbeiten, wo polizeiähnlich kontrolliert wird?

Oberbürgermeister Peter Feldmann, Schirmherr der Tagung, beklagte den Weggang vieler Pflegekräfte, die dem Druck zwischen Pflege und Prüfmodellen nicht standhielten. Pflegende sollten laut sagen, wenn die Prüfungen überzogen wären und sie sich vom Menschlichen weg zum Papier verschoben fühlten. Alte Menschen brauchen Heime, in denen sie in ihrem Dasein gewürdigt werden und sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen, so der OB. Er betonte, er sei parteiisch auf der Seite der Pflegenden. Er kündigte an, das Frankfurter Programm Würde im Alter weiter zu finanzieren. Es besteht seit dem Jahr 2000 und finanziert Demenzprojekte in Heimen in Höhe von 1.8 Mio. Euro pro Jahr.

Der leitende Arzt vom MDK Saarland, Oliver Roy Wermann, empfindet die Pflegenoten wenig sinnvoll. Sie brächten das Gegenteil einer Wertschätzung. Dass der Notenvergleich als Wettbewerbskriterium zur besseren Pflege führt, hielt Wermann für einen Irrtum, schon deshalb, weil die Prüfkriterien Dekubitusprophylaxe (Vorbeugen der Druckgeschwüre) und Schriftgröße auf der Speisekarte gleich gewichtet würden. Im Extrem würden Noten wegen der guten Dokumentation vergeben, auch wenn es in der Praxis des Heimes hapere. Weil Kernkriterien der Lebensqualität wie Empathie nicht messbar seien, gebe es diese nicht in der Bewertung des MDK. Der Mediziner sprach von der Umverteilung von Pflege auf die Dokumentation, denn eine Prüfung darüber, ob die Pflegekräfte von der Qualifizierung her, die Pflege auch durchführen könnten, gebe es nicht. Am Prüfsystem litten die Pflegebedürftigen, denen Pflegezeit abgezogen werde, und die Pflegenden, die einen Riesenteil auf die Dokumentation verwenden, aber auch die Prüfer, die trotz schwerster Fehler, gemäß der Grundlagen des Prüfmodells die Note 1,5 vergeben müssten. Wermann rief Pflegende und Gutachter auf, einen Konsens zu finden und Kriterien an den aktuellen Stand der Pflege anzupassen, und zwar ohne Aufschub.

Das ergebnisorientierte indikatorengestützte Prüfmodell der Caritas Münster stellte Natalie Albert vor. Es handelt sich um ein vom Bundesministerium für Familie und Gesundheit gefördertes Projekt. Ziel des sogenannten Wingenfeld-Modells mit 41 Einrichtungen in der Erprobungsphase ist es, die Wirksamkeit von Pflege zu beurteilen – mittels eines zehnseitigen Fragebogens zum Ankreuzen. In einer Vollerhebung, an der Mitarbeiter in Qualitätsdialogen beteiligt sind und die alle sechs Monate wiederholt werde, ließen sich beispielsweise Entwicklungen der schmerzhaften Druckgeschwüre (Dekubitus) in den einzelnen Häusern darstellen. Diese wüssten dann, wo sie stehen (unter-, über- oder durchschnittlich) und können sich in den regelmäßigen Treffen darüber austauschen: Wie habt ihr das erreicht? Welche Matratzen benutzt ihr? Eine Qualitätsentwicklung, die durch Praxisaustausch und Vertrauen entsteht. Alberts Zwischenfazit des zweijährigen Versuchs: Mit einer guten Planung ist das machbar. Die 41 Einrichtungen seien hoch motiviert und machten das neben den anderen Prüfungen parallel. Der Aufwand für die MDK-Prüfung sei dann auch geringer.

Stephan Ackermann – Autor des Prüfleitfadens für Bayerns Heime und gegen die konservative Prüfkultur antwortete auf Nathalie Albert: Situatives Handeln bei Dementen geht beim Projekt Wingenfeld nicht! Er plädierte für Qualität im Dialog im Rahmen des neuen Heimrechts, das unter der Bezeichnung Fachstellen Alten- und Behindertenhilfe, Qualitätsentwicklung und Aufsicht 2007 eingeführt wurde. Beim Qualitätsmanagement sei es wichtig, auch die Prüfaufsicht anzuschauen, denn die Prüffrage sei eine Kulturfrage und man müsse das Menschliche im System aufrechterhalten. Er wies auf die gegenwärtige Tendenz der Heime hin, sich an die Prüfkriterien des MDK anzupassen. Im Gegensatz dazu besuche ein vierköpfiges multiprofessionelles Team im Rahmen des neuen Gesetzes die Einrichtungen. Die ausgebildeten Prüfer Auditoren genannt – gingen einzeln los und bezögen sich auf Situationen, die sie bei ihrem Rundgang antreffen. Sie fragten z. B.: Wie leben die Menschen im Heim? Wie gehen die Pfleger mit Medikamenten um? Wie sind Ehrenamtliche eingebunden? Im Hausrundgang und in den Gesprächen mit den Bewohnern sei erkennbar, ob die gesetzlichen Anforderungen eingelöst werden.

Der Referent wirbt für das genaue Hinschauen und das offene Gespräch im Haus, das die Auditoren nach der Begehung miteinander führen, um zu einer Urteilsbildung zu kommen. Das Auditoren-Team teilt seine Beobachtungen mit, spricht Empfehlungen aus und übt Kritik, will aber auch ein Feedback des Heimes. Bewertungen wie nach MDK-Prüfungen fallen weg.

In einem Schlusswort äußerte Frédéric Lauscher, Geschäftsführer des Frankfurter Verbandes für Alten- und Behindertenhilfe e.V.: So etwas Strittiges wie die PTVS hilft dem Selbstbewusstseinsprozess, um uns zu wehren. Hier Klarheit zu verschaffen, dafür ist diese Veranstaltung gut.

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