Ein Interview mit Benjamin Schulz
Was ist denn das für ein Titel? Eine berechtigte Frage. Es ist ein Buchtitel: Autor des Buches ist Benjamin Schulz. Auf 155 Seiten, geht es um ihn, um Sie und mich. Genauer: Um das, was uns alle ausgemacht. Unsere Identität. Benjamin Schulz redet Klartext, geht ans Eingemachte und bringt die Dinge auf den Punkt. Manchmal auch auf unangenehme Weise. Dies geschieht immer dann, wenn er der Wahrheit sehr nahe kommt. Dabei macht er auch vor sich selbst nicht halt wenn er sagt: „Ich bin der, der ich bin.“
Klaus Wenderoth: Herr Schulz, in Ihrem Buch geht es auch und besonders um Mut. Fehlt uns allen, viel zu oft der Mut, zur eigenen Identität zu stehen?
Benjamin Schulz: Wenn man weiß, dass man an etwas stoßen könnte, das man nicht kennt, schürt das immer zuerst mal Unbehagen. Der bequeme Weg wäre, sich dem erst gar nicht zu stellen – und diesen Weg wählen viele Menschen.
Wenn ich mich aber entscheide, mich mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen, kann ich an Dinge stoßen, die mit mir zu tun haben. Dazu braucht es schon eine gehörige Portion Mut, denn ich weiß nicht, was mir dort begegnet. Ich weiß im Vorhinein nicht, wie mein Umfeld auf mich oder das was ich tue reagiert. Dafür bedarf es einer Klärung.
Klaus Wenderoth: Ihr Buch wirkt im positiven Sinne distanzlos. Sie schreiben über Persönliches aus Ihrem Leben. Macht Sie diese teilweise entwaffnende Offenheit nicht auch angreifbar?
Benjamin Schulz: Sicherlich ist das so, dass ich mich öffne und damit angreifbar werde. Allerdings wäre es für mich ein Paradoxon, ein Buch über Identität zu schreiben und dann nichts von mir preiszugeben. Dass ich das im Buch tue, macht mich nahbar und die Leser können sich mit dem, worüber ich in meinem Buch spreche, identifizieren.
Sie selbst sollen den Mut bekommen, sich zu offenbaren. Darüber hinaus hat Schwächen zugeben nichts damit zu tun, angreifbar zu sein. Wenn man sich die ganzen Heldengeschichten anschaut, wird klar: Alle haben einen Punkt, der sie verwundbar macht. Siegfried mit dem Blatt an der Schulter, oder Simson, der seine Bärenkräfte durch das Abschneiden seiner Haare verlor.
Schwächen zugeben und damit offen umgehen ist eigentliche eine Stärke. Dazu kann ich Ihnen kurz eine beeindruckende Story aus dem reellen Leben erzählen: Ein Freund von mir – Legastheniker – hat sich einmal auf einen hohen Job beworben.
Beim Vorstellungsgespräch waren alle sehr von ihm angetan und er legte die Karten offen auf den Tisch, indem er nicht nur seine Gehaltvorstellung preisgab, sondern auch seine Anforderung. Er verlangte nach einer eigenen Sekretärin, weil er Legastheniker sei. War eine krasse, mutige Aktion.
Klaus Wenderoth: Gleich auf den ersten Seiten wird klar: Wer kompromisslos zu dem steht, was er will und auch zu dem was er nicht will, wird schnell einsam. Lohnt es sich trotzdem?
Benjamin Schulz: Das klingt ein bisschen pauschal. Nicht immer, wenn ich zu meiner Meinung stehe, werde ich einsam. Das wird es zwar immer geben aber grundsätzlich kommt es auf das Umfeld und auf die Menschen an, mit denen man zu tun hat.
Es ist wichtig, eine weise Balance in der Meinungsäußerung zu finden und abwägen zu können, wann ein Kommentar oder eine Reaktion angebracht ist oder wann man sich besser zurückhalten sollte. Andererseits strahlt jemand auch eine gewisse Attraktivität aus, wenn er weiß, was er will und das auch so kommuniziert.
Das kommt vielleicht nicht bei allen an, zeigt aber, dass derjenige mutig ist, souverän ist und Charakterstärke hat. Jemand der „ohne Rücksicht auf Verluste“ sein Ding durchboxt, wirkt sehr gefühl- und rücksichtslos und wird auf Dauer in der Tat nicht viele Menschen auf seiner Seite haben.
Klaus Wenderoth: Wenn Sie mit Ihrem Buch nicht missionieren wollen, was möchten Sie dann damit bewirken? Und: Für wen haben Sie es geschrieben?
Benjamin Schulz: Wer oder was sagt, dass ich nicht missionieren will? Jetzt komme ich nun mal aus einer Pastorenfamilie und da liegt das einfach sehr nah ☺. Für mich ist das eine Art Auftrag, weil es eben auch ein Lebensthema ist, das mich beschäftigt.
Auf dem Klappentext in meinem Buch steht der Satz: „Als Unternehmer und geschiedener Vater von vier Kindern hat er selbst viele Herausforderungen mit seiner eigenen Identität durchlebt“. Der müsste eigentlich noch erweitert werden mit den Worten: „… und immer noch tut.“ Vielleicht bin ich auf der „Mission Identität“ unterwegs und möchte die Leute sensibilisieren: Fangt an, eine Expedition zu machen.
Das Buch ist für jeden Menschen geschrieben, egal in welchem Umfeld. Kann man Identität denn eigentlich aus irgendeiner Zielgruppe ausklammern? Ich glaube nicht. Also gibt es niemanden, für den das Buch nicht ist.
Klaus Wenderoth: Menschen, die wie Sie viele Höhen und Tiefen in jungen Jahren erlebt und dann ein Buch geschrieben haben, sagten danach oft: „Ein Buch über das Erlebte zu schreiben, war für mich wie der erfolgreiche Abschluss einer Therapie.“ Wie war das bei Ihnen?
Benjamin Schulz: Könnte man meinen… aber: Das Thema Identität ist ein Thema, dem wir uns aus meiner Sicht das gesamte Leben stellen. Die Frage nach der Identität stellt sich gleich zu unserer Geburt und zum letzten Mal wenn wir im Sterben liegen.
Als bei der Geburt meiner Zwillinge zum Beispiel bei einem der Mädchen Komplikationen auftauchten, habe ich mir in genau diesem Moment die Frage gestellt – für meine Tochter und für uns als Eltern. Genauso ging es mir, als ich am Bett meines Großvaters gestanden habe, der auf der Intensivstation gegen den Tod angekämpft hat. Ständig wird man im Leben mit Dingen konfrontiert, die einen herausfordern.
Für Samuel Koch zum Beispiel, dessen Geschichte ich auch im Buch aufgreife, hat sich sein bisheriges Leben innerhalb weniger Sekunden um 180 Grad gedreht. Das ist natürlich ein krasses Beispiel, aber wir müssen uns immer mit dem Thema Identität auseinandersetzen. Das ist ein Lebensprozess. Man wird sich dieser Frage einfach immer bewusster.
Klaus Wenderoth: Jeder Mensch ist zu Beginn seines Lebens ein Original und womöglich so nah an seiner tatsächlichen Identität wie später niemals mehr. Sollten wir also bei unseren Kindern davon so viel wie möglich fördern und bewahren?
Benjamin Schulz: Dass wir zu Beginn unseres Lebens ein Original sind, stimmt so nicht. Schon im Mutterleib wird ein Kind geprägt und ist bereits dort kein „ungeschriebenes Blatt“ mehr. Internationale Studien (beispielsweise ISPPM oder INFAT) belegen, dass Stress, falsche Ernährung, Drogenmissbrauch und andere äußere Einflüsse von der Mutter auf das Ungeborene übertragen werden, dessen Entwicklung beeinflussen und auch später noch Auswirkungen zeigen können, wie zum Beispiel erhöhter Blutdruck, Diabetes oder Herzkrankheiten.
Auch, ob ein Kind besonders dominant, ängstlich, freiheitsliebend, kontaktsuchend oder was auch immer ist, wird bereits durch seine Erfahrungen im Mutterleib geprägt. Es ist also keine Frage des Bewahrens sondern des Prägens. Ist das Kind geboren, fließt die Erziehung der Eltern natürlich mit ein. Wird das Kind antiautoritär erzogen oder lernt es Grenzen kennen?
Hier liegt es im Verantwortungsbereich der Eltern, die Kinder zu verantwortungsvollen Individuen zu erziehen, die ihre Werte leben können.
Klaus Wenderoth: Menschen sind soziale Wesen. Wie viel ausgelebte Individualität und Identität kann man sich eigentlich im Privat- und Berufsleben erlauben ohne permanent „anzuecken“?
Benjamin Schulz: Die Frage drehe ich mal herum: Nicht „wie viel darf ich mir erlauben“, sondern wie tolerant gehe ich mit anders denkenden Menschen um? Inwiefern respektiere ich das Andersartige und toleriere es auch? Viele unterdrücken ihre Identität einfach weil sie Angst haben, nicht in der Gemeinschaft akzeptiert zu werden.
Ich finde, Individualität darf auch gelebt werden! Es ist in Ordnung, dass man nicht ständig einer Meinung ist. Wäre die Gesellschaft toleranter, würden sich viel mehr Menschen tauen, ihre Identität zu leben. Diese fehlende Toleranz dem Andersartigen gegenüber ist unser Problem in der Gesellschaft.
Klaus Wenderoth: Zitat Benjamin Schulz: „Unser Leben ist eine Inszenierung von uns selbst.“ Verstehen Sie das als Ermunterung? Und zwar in dem Sinne, doch einmal von der Rolle des passiven Zuschauers in die eines aktiven Regisseurs zu schlüpfen?
Benjamin Schulz: Ich nehme die Menschen gerne mit in die Welt des Theaters, denn wenn wir uns das Bild eines Theaters anschauen, passen wir genau da rein, weil wir es selbst in der Hand haben, die Dinge anzustoßen und etwas zu bewegen.
Aber auch das kann man nicht pauschalisieren: Es kommen immer wieder Situationen und Einflüsse von außen, die uns nicht Regisseur sein lassen. Von diesen spreche ich hier aber nicht. Ich meine solche Situationen, die wir selbst bestimmen und selbst gestalten können.
Das machen die Menschen da draußen viel zu wenig. Ich kann nur jedem dazu raten: Seien Sie Autor, Regiesseur und Akteur Ihres Lebens zugleich!
Klaus Wenderoth: Es gibt ja nun schon genügend Fachbücher zu Ihrem Thema auf dem Markt. Warum sollten sich die Leute gerade Ihres kaufen?
Benjamin Schulz: Es gibt sogar ganz tolle Bücher auf dem Markt – keine Frage – und ich selbst habe auch schon viel Literatur darüber gelesen. Allerdings sind es die Einfachheit und die Nähe, die mir in dieser Literatur fehlen. Das Thema Identität wird darin so abstrakt behandelt, es fehlt mir die Bezug-Ebene.
Das entspricht auch genau dem Feedback, das ich auf mein Buch bekommen habe: Es ist nahbar! Mein Anliegen war klar darauf ausgerichtet, das Thema Identität in eine nahbare Form zu bringen, zum Anfassen und nicht nur eine theoretische Betrachtung zu haben. Außerdem erlebe ich in meiner Arbeit als Berater und Coach regelmäßig, wie präsent das Thema Identität in allen Lebensbereichen ist und wie festgefahren sich viele fühlen.
Die Erkenntnis darüber, selbst etwas tun zu können, ist für viele wie ein Strohhalm, nach dem sie schon lange gesucht haben. Ich will mit meinem Buch keine neue Wissenschaft verbreiten. Ich möchte die Menschen wach rütteln, wieder aktiv zum Gestalter ihres Lebens zu werden.
Klaus Wenderoth: Ihr Buch wird polarisieren. Das ist Ihnen aber sicherlich klar. Ist es auch beabsichtigt?
Benjamin Schulz: Wenn Sie „Klartext reden“ mit polarisieren meinen: Ja. Wenn polarisieren heißt, sich mit der eigenen Identität zu beschäftigen, vom Passiven ins Aktive zu kommen, vom Sein ins Tun – dann bin ich gerne Polarisierer und werde es auch immer sein.
Dieses und weitere Interviews finden Sie im Expertenblog http://www.KlausWenderoth.de
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