Hat die meckenburgische Stadt Parchim Lehm am Stecken?
Rezension über eine mutige Reportage. Welchen Wert besitzen zwei Menschenleben im Rechtsstaat Deutschland?
Stellen Sie sich das Glück vor, endlich ins neue Eigenheim zu ziehen. Ein paar Monate genießen Sie es. Dann kommt der Winter. Behagliche Wärme strömt ins Haus.
Doch was ist das? Es brummt. Es hört nicht auf, der Kopf droht zu zerspringen. Bloß raus! Draußen brummt es nicht! Diagnose Infraschall.
Das nahe Heizhaus, nach der Wende unter mysteriösen Genehmigungen erbaut, leitet jene Schwingungen über eine Lehmader in das Wohnhaus der Parchimer Familie Bählkow. Dieses Medium kann leicht unterbrochen werden. Vielleicht käme dabei heraus, dass zum Beispiel keine Baugrunduntersuchung erfolgte oder gar Kungeleien in SPD-Kreisen stattfanden.
Infraschall ja, leugnen zwecklos. Aber dass so ein bisschen Nichts die Bählkows beeinträchtigen könnte, sei pure Einbildung!
Ein nervenaufreibender teurer Canossagang in die Niederungen der deutschen Rechtsstaatlichkeit beginnt. Hauen und Stechen der Gutachter setzt ein. Die Bählkows verlieren den ersten Prozess. Es brummt weiter. Die Bählkows verlieren den zweiten Prozess. Es brummt weiter. Seit Jahren schon schläft das Ehepaar – wie es seine Zweitwohnung sarkastisch nennt – im Stundenhotel. Haarscharf entgehen sie der Entmündigung. Man erfährt im Fernsehen von derartigen Praktiken, unliebsame und nörgelnde Zeitgenossen zu entsorgen und ist entsetzt.
Die Bählkows kämpfen für ihre Gesundheit und ihre Würde. Bislang vergebens, schon achtzehn lange Jahre. Alle Arten Volksvertreter, vom Parchimer Bürgermeister bis zum Bundespräsidenten, bedauern, den Gemarterten nicht helfen zu können. Ja, in welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?
Dieser Frage geht „Rechtssache Infraschall“ nach. Man ist verblüfft über die Offenheit, mit der hier Ross und Reiter benannt werden und der Richter eines Berufungssenats mit den Worten zitiert erscheint: „Ich kann die Parchimer Stadtwerke nicht verlieren lassen, sie werden ja gebraucht.“
Wer dieses Buch liest, könnte sich künftig fürchten vor der beschworenen Demokratie hierzulande. Dabei kommt dem Autor kein weiteres Verdienst zu, als er aus meterhohen Aktenbergen ihm relevant Erscheinendes mit den unbestechlichen Wahrheiten der Tagebuchaufzeichnungen von Annelie Bählkow verknüpft. Allein diese Fakten führen direkt nach Absurdistan. Dass er darüber hinaus tatsächlich stattgefundene Abläufe moderierend in eine homogene literarische Fassung bringt, muss man ihm als subjektive Bewertung zubilligen; manche werden jedoch ermuntert, seine Frage, in welcher Gesellschaft wir denn leben wollen, zu wiederholen.
Warum er diese Reportage überhaupt geschrieben habe, frage ich Stankiewitz, denn die Messen seien doch längst gesungen, das höchste deutsche Gericht hat abgeschmettert. „Vielleicht“, sagt er, „findet sich doch ein pensionierter Richter, der empört ist, weil er es jetzt sein darf. Er bringt alles wieder ins Rollen. Es wäre nicht das erste Mal. Nichts muss bleiben, wie es ist. Der bewusst begangene Irrtum schon gar nicht! Die Bählkows haben es verdient, dass ihnen Recht wird.“
Mutig ist das Buch allemal; ob seine Verwegenheit an Herausforderung grenzt, werden die von den Bählkows stets höflich und nach menschlichem Anstand behandelten Herausgeforderten hoffentlich bald selbst beantworten. Bislang liegt die schlechteste aller Antworten auf dem Tisch: Schweigen.
Eins ist schon sicher. Diese Streitschrift kommt weder zu früh noch zu spät auf den Markt. Jetzt muss über dieses Problem geredet werden; Handeln ist noch wichtiger – lebenswichtig!
Hannes Bengt
Rechtssache Infraschall; WiedenVerlag Crivitz 2012; ISBN 978-3-942946-23-0; Preis: 14,00 Euro
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