Der fremde Blick – Die Berliner Museumsinsel im Urteil ausländischer
Besucher zwischen 1830 und 1990 / Buchneuerscheinung
„Ach, was ist das schön! Welch herrliches Gedicht in Stein“, schwärmte Guillaume Apollinaire beim Anblick des Pergamon-Altars, als er 1902 Berlin besuchte. Der niederländische Maler Johan Gram wiederum hatte sich bereits 1880 von der Nationalgalerie auf der Museumsinsel begeistern lassen. Kunst sei dort so „königlich untergebracht, dass man die Schale viel schöner findet, als die Perlen, die sie enthält“. Und die Königsbergerin Fanny Lewald war nach ihrem Besuch des Königlichen Museums (heute Altes Museum) 1832 geradezu überwältigt. „Das Schöne war vorhanden auf der Welt, und ich konnte es genießen“, schrieb sie.
Sigmund Freud wiederum ließen die „antiken Scherben“ im selben Museum unbeeindruckt. Und so wie die einen die Architektur der Berliner Museumsbauten bewunderten, konnten andere Berlin-Besucher in ihnen nur eine „tiefe Unkenntnis der elementaren Regeln der Architektur“ ausmachen. Das vernichtende Urteil eines Franzosen aus dem Jahr 1841 galt Karl Friedrich Schinkel und seinem Königlichen Museum, das 1830 als erstes Museum auf der Museumsinsel eröffnet worden war.
Diese höchst unterschiedlichen Zeugnisse über Berlins Museen und deren Sammlungen finden sich in dem Band „Die Berliner Museumsinsel. Impressionen internationaler Besucher (1830-1990)“, den Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin, und die freie Kunsthistorikerin Philippa Sissis im Böhlau Verlag Köln herausgegeben haben und der am 22. November 2012 erschien. Unter ihrer Leitung haben Studierende der TU Berlin die Texte ausgewählt und editiert. Das Buch ist innerhalb des institutionsübergreifenden Exzellenzsclusters „Topoi“ entstanden.
Die Anthologie enthält – bis auf drei – ausnahmslos ausländische Besucherstimmen zur Berliner Museumsinsel mit seinem Alten und Neuen Museum, dem Pergamonmuseum und der Alten Nationalgalerie. Wie schon bei anderen Publikationen von Bénédicte Savoy zur transnationalen europäischen Museumsgeschichte besetzt sie auch mit diesem Buch eine Leerstelle innerhalb dieses Forschungsgebietes. Denn anders als für den Pariser Louvre oder die Dresdner Gemäldegalerie gab es eine solche Sammlung von Impressionen, Urteilen und Stimmen für die Berliner Museumsinsel bislang nicht.
Die Kunsthistorikerinnen und Studierenden haben Reiseberichte, Tagebucheinträge, Briefe, Zeitungsartikel und autobiografische Skizzen von Wissenschaftlern, Literaten, Künstlern, Journalisten und ganz normalen Reisenden gesammelt. Ihr Anspruch war es, Eindrücke aus der ganzen Welt zusammenzutragen. Neben Briten und Franzosen, die das Gros aus-machen, finden sich auch Zeugnisse eines Ägypters, eines Japaners, eines Portugiesen oder auch eines Paraguayers. Viele der Berichte wurden für die Anthologie erstmals ins Deutsche übersetzt, einige Dokumente werden sogar zum ersten Mal veröffentlicht wie zum Beispiel die eindrucksvollen Skizzen des Malers William Turner zum Alten Museum.
Die Dokumente geben einen äußerst lebendigen Einblick, wie die Museen und ihre Sammlungen von Ausländern wahrgenommen worden sind – teils euphorisch, teils kritisch -, oft vergleichend mit dem, was sie von Zuhause kennen. Sie spiegeln auch, wie die Bedeutung der Museen sich für die Besucher im Laufe der Zeit wandelte; die zuweilen nur noch besucht wurden, um der bildungsbürgerlichen Pflicht zu genügen. Die Texte zeigen, was für ausländische Museumsexperten an Berlins Museen nachahmenswert war oder was ihnen als verfehlt galt: So war der Direktor der ägyptischen Abteilung des Louvre in Paris Emmanuel de Rougé von der Ausmalung der Säle im Neuen Museum im ägyptischen Stile wenig angetan, weil sie die Gegenstände in der Ausstellung „wie alte hässliche Steinbrocken“ aussehen ließen. Auch erschien ihm die Art und Weise der Restaurierung antiker Fragmente fragwürdig. „Man hat die Manie der Restaurierungen zu einem absurden Punkt vorangetrieben, hat einen ganzen Koloss restauriert, … von dem nur ein Bein übrig war. Dieses bewundernswerte Bein von Sesurtasen I. verschwindet im Gipsberg, mit dem man es so unpassend ergänzt hat. Das sind Beispiele, die wir nicht nachahmen werden.“
Die Textsammlung verdeutlicht, mit welcher „Ernsthaftigkeit und Tiefe sich im Ausland seit beinahe 200 Jahren mit der Museumsinsel befasst worden ist“ und welche Impulse von den Berliner Museen für die europäische Museumskultur ausgingen. Savoy und Sissis schreiben dazu: „Wer 1907 in Frankreich ausführlich über die Berliner Museumspläne eines Wilhelm Bode berichtete, wie dies etwa der Pariser Ethnologe Arnold van Gennep tat, hat nicht nur die Berliner Museumslandschaft im Visier, sondern auch und vor allem die Museumsmisere in Paris…“ Museen sind für Savoy von jeher ein bedeutender Teil des transnationalen Kulturaustauschs in Europa, weniger eine nationale Angelegenheit.
Reich illustriert mit zum Teil unbekannten Fotos wie dem von Charlie Chaplin 1931 am Pergamonaltar, ist das Buch eine hoch vergnügliche Lesereise durch ein Stück Berliner Museumsgeschichte. Sie führt einem vor Augen, welche Emotionen und Diskussionen die Museen auslösten, aber auch wie ihre Popularität schwand, als Vergnügungen anderer Art – wie Kino und Kabarett – die Menschen begannen zu faszinieren und Berichte darüber ab 1925 dominierten.
Vor dem Hintergrund der Diskussion um den Umzug der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum verstehen die Herausgeberinnen ihre Anthologie auch als ein „Plädoyer für mehr historische Tiefe“ in dieser Auseinandersetzung. Nicht von ungefähr endet der Band mit einem Artikel des New Yorker Kunstkritikers John Russell aus dem Jahr 1990. Angesichts des Mauerfalls und damit der Möglichkeit, die durch Krieg und Teilung auseinandergerissenen Berliner Sammlungen wieder zusammenführen zu können, fragte er: „Was werden sie nun tun, da der Spiegel wieder zusammengefügt werden kann? Das werden die Zeit, das Taktgefühl und die tiefsitzenden Emotionen entscheiden.“
Bénédicte Savoy, Philippa Sissis (Hg.), Die Berliner Museumsinsel. Impressionen internationaler Besucher 1830-1990. Eine Anthologie, Böhlau Verlag Wien Köln Weimar, 336 Seiten, zahlreiche Abb., 29,90 Euro, ISBN 978-3-412-20991-9
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